Samstag, 28. Juli 2012

Vom Leprindo-See zur Gastfreundlichkeit an der BAM

Die Hütte ist eigentlich sehr schön gelegen, etwas oberhalb des Malinky Leprindo-Sees, eventuell der Grund für den gestrigen Besuch. Als ich in den Morgenstunden wieder auf der Piste bin, sehe ich am Gegenufer auch ein Fischerboot, hier scheinen also doch ein paar Leute unterwegs zu sein, kein Wunder bei der Landschaft. Von Chara ist Leprindo auch relativ gut zu erreichen und ich würde es als Top-Location an der BAM bezeichnen, wo man so nah an die Kodarberge kommt, wie sonst nirgendwo. Im grossen Leprindosee bade und wasche ich mich, just in dem Moment kommt der tägliche Personenzug vorbei, es dürfte wohl der Gleiche sein, welchen ich gestern genommen hatte, Severobaikalsk-Novaja Chara.
Malinkij Leprindo am Morgen
Eine wahnsinnige Ruhe hier
Nur selten unterbrochen durch einen Zug
Hier könnte man auch gut fischen
Die Berge des Kodargebirges sind hier ganz nahe
Diesmal mehr Glück mit dem Wetter
Die Bäche sind nicht mehr so gefüllt
Grosser Leprindosee
Die Piste ist in Ordnung und nicht so schlimm, wie letztes Jahr aus dem Zug heraus gesehen, die meisten Pfützen sind umfahrbar. Hatte ich bereits erwähnt, dass die Wolken nach Kuanda weniger wurden und ich in der Folge hier in der genialsten Gebirgsgegend der BAM bei klarem blauen Himmel fahre? Das scheint wohl auch der Piste gut zu tun, wobei hier am Leprindo schon auch viele kleine Rinnsaale dafür sorgen, dass einige Pfützen nicht so schnell austrocknen, es ist schon eine eher feuchte Gegend hier. Zum Glück sind die meisten Brücken für mich fahrbar, grosse Fahrzeuge müssen manchmal furten, z.B. ein grosser LKW, der wohl letzte Nacht hier durch ist, eventuell der Abschleppwagen für den Mitsubishi. Kurz vor der Abzweigung zur Haltestelle Leprindo treffe ich noch einen Fussgänger mit Gewähr. Ich zweige nicht zum Bahnhof ab, auch wenn dieser hier besetzt sein dürfte. In der Folge treffe ich noch ein paar einzelne Nivas, welche wohl auf Wochenendausflug zum Leprindo sind. Sie meinen, dass es dieses Jahr viele Bären hat (d.h. es sei opasno und ich soll akkuratny unterwegs sein - auch wenn die Leute mir oft opasno sagen, realisiere ich erst kurz vor dem Ziel anhand von Strassenschildern, was die Übersetzung ist, die Bedeutung ist mir natürlich vorher schon klar) und dass vor einer Woche Leute aus dem Baltikum mit Motorrädern und Fahrrädern in Chara durchgekommen sind. Momentan bin ich wieder eher auf der Bahnpiste und frage jeweils bei entgegenkommenden Verkehr, welche Piste besser ist. Der Sommer war wohl noch nicht so gut hier, auf 900 m liegt immer noch Schnee unter dem Bahndamm. Ich bin froh als ich endlich die Brücke über den Charafluss erreiche. Die Strasse war vom Leprindo lange den Bergen entlang angelegt, bis sie durchs Sumpfland auf Chara und den Fluss zuzieht. Nun sind es nur noch wenige km bis zur Stadt. Die Treibholzmassen am Fluss sind wieder beeindruckend, die Brücke ist lang, aber nicht mehr gut im Schuss, selbst auf der Brücke hat es Gedenktafeln für verunglückte Fahrer.
Die Brücken werden nicht besser
Nächster Fluss
Warmer Tag
Das Gerüst steht eigentlich noch
Schnee auf 900 m
Gut fahrbare Piste
schnurgerade in die Ebene
Brücke über die Tschara
Vor wenigen Tagen hatte sie wohl deutlich mehr Wasser
Wiedersehen mit Novaja Tschara
Eines der grösseren Dörfer an der BAM
Der Ort Novaja Chara erstreckt sich länger als mir das vom letzten Jahr bekannt war, aber schliesslich komme ich wieder in das wohlvertraute Wohnblockviertel. Im ersten Supermarkt werde ich gleich fündig, es hat wieder Müsli und sogar Milchpulver, d.h. Maljutka, eine Art Babybrei. Für Internet werde ich auf einen Elektronikladen verwiesen, wo ich wieder ausnahmsweise den Computer an der Kasse nutzen darf, der Wetterbericht hätte mir heute eigentlich Niesel vorhergesagt, ich hatte aber perfekt blauen Himmel, danach hat es zwei gute Tage und dann soll "Storm" folgen, keine Ahnung, was dieser englische Ausdruck hier bedeuten soll. Als ich genauer auf einer Wetterberichtseite schauen will, ist dort auch ein Google-Eartz-Ausschnitt, auf dem ich kurz weiterfahre. Ich bemerke, dass an der Station Ikabya wohl einige Gebäude stehen müssten, als nächsten Ort hatte ich eigentlich Chani auf dem Radar. Ich frage daher im Laden nach, ob Ikabya ein Ort wäre und bekomme eine positive Antwort, sogar Läden soll es dort haben. Danach geht es noch in die Kantine, welche im gleichen Gebäude ist, wie mein letztjähriges Hotel. Es hat sich nichts verändert. Mein Rad samt Gepäck steht davor, auch wenn ich es nicht direkt im Auge habe. Später auf Tour treffe ich Walter, der mir sagt, sie hätten in Novaja Chara kleine Probleme mit den Leuten gehabt und dass die Kriminalität dort verhältnismässig gross sein sollte. Das kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Vor dem nächsten Laden spricht mich Evgenij an, ein Bahnarbeiter. Er meinte, er hätte mich bei Leprindo gesehen und gedacht ich könnte sicher etwas zu Essen brauchen, weshalb er mir Brot und Wurst hinterlegt hätte. Da ich weder Evgenij noch sein Depot wahrgenommen habe, liegen Brot und Wurst wohl heute noch dort. Er will mich zu sich nach Hause einladen, wenngleich seine Frau dabei keine so grosse Begeisterung zeigt. Ich will aber ja noch nach Ikabya weiter und verabschiede mich daher von beiden. Für die grob 50 km muss ich mich ran halten, damit es nicht zu spät wird. Die Piste ist wirklich ordentlich und scheint permanent gepflegt zu werden, der Verkehr kommt spärlich, bzw. wie gewohnt immer auf's Mal. Ikabya ist wieder ein typischer BAM-Ort mit kleinen Datschen am Ortsrand und Wohnblocks. Hier würde ich nun gerne einen Schlaf- bzw. Zeltplatz finden. Leider treffe ich erst einmal auf eine Gruppe Besoffener, welche mir nicht viel weiter helfen können, ein paar Meter weiter sehe ich wie an einem LKW eine Feldreparatur durchgeführt wird. Nach ein bisschen Herumkurven im Ort treffe ich auf ein paar Kinder, welche mir zum Übernachten die Wagonchiki empfehlen, an der Bahnlinie hat es wohl ein Lager, wo Arbeiter übernachten können. Als ich dort vorbeifahre bin ich unschlüssig und fahre lieber wieder weg. Im Ort erblicke ich dafür neben der Schule eine geeignete Wiese, der Fussballplatz, welcher wohl nicht mehr in Funktion ist. Als ich Leute darauf anspreche, ob eine Übernachtung dort möglich wäre, wissen sie auch nicht so recht, was sie antworten sollen. Schlussendlich laden sie mich aber erst einmal zu einem Tee ein. Der Tee entpuppt sich als zweites Abendessen, Hänchenbein mit Brot und Gurken. Sie würden mir sogar bei sich einen Platz anbieten, doch die Wohnung ist zu klein. So gehe ich zum Schulgebäude und versuche dort eine Aufsicht zu finden, jedoch treffe ich dort niemanden. Nebenan ist die Gemeindeadministration sogar noch offen, doch scheint sie für eine Disco in Beschlag genommen worden sein. Eine ältere Dame mit Enkelkind an der Hand spricht mich schliesslich vor der Schule an und meint, sie wüsste etwas für die Nacht, aber vorher müssen wir erst einmal Tee trinken. Das folgende Abendessen ist deutlich feudaler, eine feine kalte Suppe aus Milch und Gemüse, Gretschka (typisches russisches Buchweizengericht als Kohlehydratbeilage) mit Fleisch und zum Schluss noch Tee. Vor dem Essen gibt es aber noch eine Dusche, was für ein Luxus. Die Schlafgelegenheit ist nicht der Garten einer Datscha, sondern die Couch im Wohnzimmer, wo ich traumhaft schlafe.
Meine Gastgeberin ist bereits pensioniert, ihr Mann noch nicht richtig, aber wohl in Folge einer Krankheit auch nicht arbeitend, d.h. wohl frühpensioniert. Er hat was am Knie, kein Wunder bei der Leibesfülle. Leider hat er nicht den gleichen liebenswerten Charakter wie seine Frau, sondern ist deutlich mürrischer, was dann oft in Zänkereien ausartet, eventuell hat mich die Frau auch daher eingeladen um mal ein bisschen Abwechslung zu haben. Sie sind auch seit den 80er Jahren hier (ein zwischenzeitlicher Umzug nach Kuanda wurde rückgängig gemacht, nachdem sie Ikabya vermissten) und haben die BAM mit aufgebaut. Vorher waren sie in Tashkent, sind aber echte Russen. Meine Begeisterung über das nahe liegende Tajikistan können sie nicht teilen, da sie dort nie waren, dabei wäre das doch so nahe liegend gewesen. Meine Gastgeberin erzählt mir von dem vielen Regen hier in letzter Zeit, seit einem Monat hat es wohl jeden Tag Regen gegeben (in Uojan hatte man mir von einem halben Monat erzählt), dadurch soll sogar die Asfaltstrassenverbindung zwischen dem alten Chara und Novaja Chara unterbrochen gewesen sein, man konnte den Unterbruch wohl nur per Boot überbrücken. Aktuell scheint die Strasse wieder befahrbar zu sein, zumindest mit bolschoj maschini (d.h. LKW). Sie meint, dass es aktuell in der Gegend besonders viele Bären hat, weil "Yakutia garit" (Jakutien brennt), die Waldbrände vertreiben die Bären in weniger betroffene Gebiete, nach dem Regen in dieser Region ist hier wohl keine Waldbrandgefahr. Sie hätten gerade erst auf dem Weg von Ikabya nach Novaja Chara heute Nachmittag per Marschrutka (Sammeltaxi) gegen 16.00 Bären am Strassenrand gesehen, 2 Stück welche wohl interessiert auf die Strasse geschaut haben und vor dem Auto nicht geflüchtet sind. Und auf dem Rückweg hätten sie ebenfalls wieder Bären am Strassenrand gesehen. Da scheine ich Glück gehabt zu haben, ich bin ja die Strecke heute am frühen Abend gefahren. Ihr Mann meint ob ich denn nicht bewaffnet bin, für den Fall, dass ich auf einen Bären stosse. Das werde ich oft gefragt und ernte Kopfschütteln wenn ich nur Pfefferspray, meine zugegeben bescheidene Bärenglocke und eine Bahntröte (muss man sich wie eine Vuvuzela vorstellen) vorweisen kann.
Am nächsten Morgen bekomme ich noch die Piroschki (Teigtaschen) mit, welche ich gestern Abend bei bestem Willen nicht mehr in mich hineinstopfen konnte.
Fahrt in den Abend
nach Ikabya
Hier am Strassenrand wurden heute mehrfach Bären gesehen
Ikabya
Die wichtigsten BAM-Bahnhöfe
Meine sehr liebenswerte Gastgeberin in Ikabya
Datschen in Ikabya

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